„Neue” Küche aus dem Jahr 1900



Klaus-Dietrich Keßler demonstriert das im Jahre 1900 noch mühsame Kaffeemahlen. (Foto: Löchl)Marlies und Klaus-Dietrich Keßler vom Lindenhof Keramik-Museum zeigen Neuerwerbungen

B r a c h t t a l - S t r e i t b e r g (dl). Wenn die Keßlers aus dem Lindenhof Kerainik-Museum schon einmal eine neue Küche anschaffen, dann muss es etwas mit Waechtersbacher Keramik zu tun haben. Die „Neue" stammt aus der Möbelfabrikation am Eisenhammer und wurde uni 1900 aus Holz mit Waechtersbacher Keramik-Einlagen hergestellt. Drei Teller, die nur in kleiner Stückzahl oder als Handexemplare gefertigt wurden, dokumentieren beispielhaft die künstlerische Entwicklung von Christian Neureuther.

Natürlich haben Klaus-Dietrich und Markes Keßler auch noch eine modernere Küche in ihrem Wohnhaus. Das Produkt ist nur eine Leihgabe für zirka ein halbes Jahr und ist in dem Häuschen vor dem Museum untergebracht, wo später eine Sonderausstellung mit Kreationen der Designerin Ursula Fesca Platz finden soll. Keßler hat die Küche von einem Bekannten ausgeliehen, um zu zeigen, wie einige der in der Möbelfabrik am Eisenhammer hergestellten Küchen um 1900 mit, Waechtersbacher Keramik ausgestattet wurden - in diesem Fall mit zwei Schmuckplatten und Schüben aus gebranntem Material.

Christian Neureuther hat, zunächst als Angestellter und später freischaffender Kunstkeramiker, die künstlerische Entwicklung der Fabrik Anfang des 20. Jahrhunderts stark geprägt. Neureuther, der in der Steingutfabrik als Lehrling das Handwerk von der Pike auf gelernt hat, hat auch später Keramiken von Hand gefertigt und mit Glasuren experimentiert. Ein großer Jugendstilteller von Christian Neureuther schmückt seit vielen Jahren das Museum in Streitberg.

Mit einem Dekor, angelehnt an die Entwürfe des bedeutenden Künstlers der Künstlerkolonie Mathildenhöhe Darmstadt, Hans Christiansen, ist das im Durchmesser 41,5 Zentimeter messende Objekt, das um 1903 entstanden sein dürfte, ein ganz besonderes Stück. Jetzt ist es Keßler gelungen, als Gegenstück einen Teller zu erwerben, der ursprünglich einem nicht realisierten Entwurf des zu seiner Zeit international bekannten Privatdozenten und Autors - er wurde 1879 Direktor des Kunstgewerbemuseums in Frankfurt – Ferdinand Karl Heinrich Luthmer zu verdanken ist. Weil die Blütezeit des Jugendstils ganz offen sichtlich vorbei war, hatte Neureuther in alten, in der Fabrik noch vorhandenen Entwürfen gestöbert und die Zeichnung von 1880 entdeckt. Im Jahre 1917 ist dieser Teller „Meerjungfrau mit zwei Delphinen" dann als Handexemplar, mit Glasfluss-Glasuren experimentierend, entstanden und blieb in Neureuthers Privatbesitz. Er ist aus heute nicht mehr bekannten Gründen nie in Produktion gegangen.

Aus der Herstellung des über 200 Jahre bestehenden Marburger Töpferhauses Schneider, das eine über 400 Jahre alte Familientradition fortführt, wird zum Vergleich ein weiterer Luthmer-Teller gezeigt, der mit der Harpyie ein Fabelwesen aus der griechischen Mythologie mit Federn und weiblichen Formen darstellt. So bietet die Ausstellung eine einzigartige Gelegenheit, die künstlerische Fähigkeit Neureuthers zu zeigen, Entwürfe von anderen Künstlern mit seinen keramischen Fachkenntnissen nahezu perfekt umzusetzen.

Quelle: Gelnhäuser Neue Zeitung 07.07.2012