Tee trinken aus dem Modell Phoenix



Wächtersbacher Keramik von den Anfängen bis in die 50er-Jahre im Museum Lindenhof

Marlies und Klaus-Dietrich Keßler präsentieren momentan eine Sonderausstellung zum Thema Brachttal-Streitberg (rim). Wie im Märchen Genauso mutet der Hof der Keßlers in der Lindenstraße in Streitberg an. Kaum um die Ecke gefahren, begrüßt eine Winter-Linde den geneigten Besucher. Der sommergrüne Laubbaum bildet das Zentrum des großflächigen Platzes. Hinter der Linde befindet sich ein Raum, der bereits Einblicke in die Welt der Keramik erahnen lässt. Er ist der erste Anlaufpunkt für Gäste des Keramik-Museums Lindenhof, das die GNZ im heutigen Teil der Serie "Zuhause unterwegs - Ausflugsziele In der Region" vorstellt.

"Es fing damit an, dass wir einen Bauernhof oder wenigstens ein Fachwerkhaus kaufen wollten", berichtet Klaus-Dietrich Keßler, der gemeinsam mit seiner Ehefrau Marlies das Keramik-Museum leitet. "Wir haben lange gesucht und sind durch Zufall auf den Lohrei-Hof in Streitberg aufmerksam geworden."

Die Keßlers mussten lange suchen, in den 90er-jahren waren die meisten adäquaten Bauernhöfe noch in Betrieb. An Fasching 1993 entdeckte Marlies Keßler eine Verkaufsanzeige. "Ich saß gerade auf der Toilette, als sie mir zurief, in Streitberg sei ein Gebäude zu verkaufen, das vielleicht passen könnte. Ich habe einfach zu allem ja und Amen gesagt", erzählt Keßler mit einem Augenzwinkern.

Bei der Besichtigung zeigte der Makler eine alte Fotografie des Hofes, auf der unter anderem die Winter-Linde zu sehen war. "Da bin ich schwach geworden", sagt Marlies Keßler. "Wir haben uns auf das Abenteuer eingelassen, waren immer am Wochenende hier und haben eimerweise Schutt durch die Gegend geschleppt." Vorher waren die beiden Museumsbesitzer im Ruhrgebiet angesiedelt - also wurde jedes Wochenende gependelt. Zusammen mit dem Vater Klaus-Dietrich Keßlers und dessen Kanarienvogel. 1993 hatten sie den Hof gekauft - aber der Beginn der Leidenschaft für die Wächtersbacher Keramik liegt weiter zurück.

In den 70er-jahren wohnte Keßler einer Haushaltsauflösung in Bad Orb bei. Dort standen die Keramiken. "Sie sahen toll aus, und ich habe einige mitgenommen", erinnert sich Keßler. Zuhause angekommen, wurde eine Marmorplatte angefertigt und über dem Heizkörper angebracht. Obendrauf kamen die ersten Keramik-Exponate. Ein Freund machte Keßler darauf aufmerksam, dass es sich bei den Stücken um Wächtersbacher Keramik handelte. "Daraufhin wollte ich mir die Fabrik, in der die Stücke hergestellt wurden, einmal ansehen." In der Fabrik angekommen, war er fasziniert von den ausdrucksstarken Farben. "Ich sah die von Christian Neureuther gestalteten Keramiken und war sofort hin und weg." Auch auf seine Frau hatten farbenfrohe alte Sachen schon früh eine große Wirkung. "Da hat es natürlich nicht lange gedauert, bis ich die Passion meines Marlies teilte", erzählt sie.

Blick von oben in das Silo.Da die Eheleute viel in Deutschland herumkamen, gesellten sich zu den anfänglich wenigen Exponaten schnell neue Stücke. Die Suche erstreckte sich zumeist auf Antiquitätengeschäfte. "Wir haben uns an den den Schaufenstern die Nasen platt gedrückt. Dadurch haben wir einen Blick für Wächtersbacher Keramik bekommen, die damals noch recht unbekannt war." Mit jedem neuen Stück wuchs die Sammlung, die bald in vielen Kisten verstaut werden musste.

"1995 hat das Schicksal zugeschlagen"

Diese Kisten standen ab 1993 auf dem Hof in Streitberg. "Wir sind noch eineinhalb Jahre gependelt, nachdem der Hof fertig renoviert war", erzählt Keßler. "1995 hat dann das Schicksal zugeschlagen." Sein Vater wurde schwer krank und wurde in das Alten- und Pflegeheim nach Schlierbach gebracht. "Da ich ihn nicht nur am Wochenende besuchen wollte, haben wir uns im selben Moment entschlossen, unseren Lebensmittelpunkt nach Brachttal zu verlegen. Da fing die Sammelei dann an, richtig auszuarten.

"Für die Liebe zum Hobby musste schon mal eine Urlaubsreise dran glauben. "In Gelnhausen haben wir einen wunderschönen Damentisch aus der Zeit des Darmstädter jugenstils entdeckt. Der war teuer - aber wir mussten ihn einfach haben. Das war die Weichenstellung für die Zukunft." Bald darauf wurden die Wächtersbacher Werke aus dem Fundus der Fabrik verkauft. "Das kam uns sehr gelegen - wieder eine Möglichkeit, an Keramik zu kommen."

Nicht nur Keramik-Exponate gibt es im Museum zu sehen: Eines von Marlies Keßlers Lieblingsstücken ist dieser alte Stuhl.Derweil dauerten die Bauarbeiten an den Gebäuden an - rund zehn Jahre. Die Scheune lag den Eheleuten besonders am Herzen. "Wir haben, um sie materialgerecht zu sanieren, viel Eichenholz gesammelt - so viel, dass wir irgendwann keinen Platz zum Parken mehr hatten."

Als die Scheune fertig war, wussten Marlies und Klaus-Dietrich Keßler zunächst nicht, was sie nun mit ihr anstellen sollten. "Es gab zwei Varianten: ein Multikulti-Zentrum mit Bildern und Ähnlichem oder eine Art Restaurant, das von zwei Töchtern meiner Frau geleitet werden sollte." Letzteres Vorhaben scheiterte. "Die beiden sind einfach zu hübsch und hatten schnell zwei Kerle am Hals", erklärt Keßler lachend. "Außerdem musste die Keramik, die sich inzwischen überall stapelte, ja auch irgendwo hin." Die Idee, ein Museum zu eröffnen, kam auf. Dieses sollte zunächst in einem Silo untergebracht werden. Gesagt, getan: Nachdem einige Glasvitrinen plaziert waren, wurden zum ersten Mal die Stücke ausgestellt. "Es ging plötzlich rund. Das Fernsehen war da, und es kamen immer mehr Besucher." An diesem Punkt geriet die Scheune wieder in das Bewusstsein der Streitberger. "Also machten wir uns daran, alle Kisten auszupacken. Es waren 60 Kisten und darin deutlich mehr Stücke, als wir in Erinnerung hatten."

Das Museum sollte chronologisch aufgebaut sein, an der Tür beginnend mit frühen Werken. Als alles aufgestellt war, entschieden die Eheleute, Besuchern einmal im Monat das Museum vorzuführen. Im Jahr 2003 wurde eröffnet. Seitdem gibt es das Keramik-Museum Lindenhof - ein etwas anderes Museum. Marlies und Klaus-Dietrich Keßler ist vor allem das Gespräch mit den Gästen wichtig. "Wir wollen unsere Begeisterung einfach weitergeben." Das geschieht nicht nur im Museum selbst, sondern auch in einer Art Vorraum, In der Besucher zu einer Tasse Tee eingeladen werden. Dieser wird natürlich - stilecht - in einem Service aus Keramik angeboten, zum Beispiel aus dem neuesten Modell Phoenix. Während der Führungen bekommen Interessierte nicht nur einen geschichtlichen Einblick - es ist zudem erlaubt, die Keramik zu berühren. "Nur so kann man ein echtes Gefühl für sie bekommen", sagt Marlies Keßler.

Zwei Frauenbüsten. Auch in Zukunft wird weiter gesammelt. "Wir wollen die ganze Bandbreite zeigen, momentan reicht unser Angebot von den Anfängen bis in die 50er-jahre. Das Ziel ist, die nächsten 20 Jahre bis in die 70er hinein noch aufzustellen." Dazu fehlt jedoch der Platz - noch. "Natürlich ist das Zukunftsmusik, aber wir planen, in den nächsten zwei Jahren einen Schuppen zubauen, um unsere Ausstellung noch vergrößern zu können." Eintritt müssen Besucher nicht zahlen - es sei denn, sie wollen. Am Eingang steht zu diesem Zweck ein Sparschwein - aus Wächtersbacher Keramik, versteht sich.

Quelle: Gelnhäuser Neue Zeitung 28.07.2009

Aktualisiert (Freitag, den 24. September 2010 um 14:17 Uhr)